
Es gibt Tage, da uns nur die Kirchturmglocke daran erinnert, dass die Zeit nicht stehengeblieben ist. Sie bleibt nie stehen, die Zeit. Alles ist wie immer.
Wenn der Tag seine Fensterläden schließt, wenn der Abend die Sicht verschluckt und wenn dem stürmischen Wind die Puste ausgeht und er nur noch kleinlaut säuselt, dann steht wieder eine Nacht vor der Tür, so, wie an jedem Abend eine Nacht vor der Tür steht. Wenn die Sterne ihre Positionslichter zünden und der Mond die Wolken teilt, um seinen Dienst für die Verliebten zu beginnen, dann beginnt auch meine Zeit – Schreibzeit.
Die Nacht hat ihr schwarzes Tuch sanft über das Land gelegt, auch über mein altes Fachwerkhaus. Durchs Butzenfenster schickt der Mond geviertelt seinen Gruß in meine Schreibkammer. Die alte eiserne Tischleuchte versucht vergeblich meinen Schatten korrekt auf die große Schranktür zu legen. Ich bin umzingelt von Regalen und Schränken, an die ich herankomme, ohne aufstehen zu müssen. Ökonomie durch Bequemlichkeit. Überall Stapel aus Büchern und Zeitschriften, garniert mit Notizfetzen. Meine Welt auf Papier. Der Schreibtisch Zigarettenglut befleckt. Brandmale als Erinnerung an den Sekundenschlaf. Und während ich in die Nacht schaue und Gedanken ordne, trägt mich ächzend mein greiser, morscher Korbsessel aus dem Sperrmüll, als wolle er mir sagen, es geht auch bequemer, alter Mann.
Nein mein lieber, geht es nicht. Nur hier, wo die Vergangenheit gegenwärtig ist, nur hier kommen die Gedanken, nur von hier kann ich eintauchen in das, was war. Nur hier werden Erinnerungen wach. Nur hier tauchen Bilder auf, denen ich mit Worten Leben einhauchen will. Nur in dieser winzigen verqualmten Kammer bei trübem Licht und verbrauchter Luft treffen sich Vergangenheit, Gegenwart und Fantasie und verschmelzen zu Geschichten und Gedichten. Erzeugen so manchen Seufzer und produzieren zuweilen Berge zerknüllter Fehlversuche. Das eine passende Wort finden, das ist die Kunst, um die Leserschaft zu fesseln. Mit Worten Bilder zu malen, die verstanden werden und die in den Köpfen neue Bilder entstehen lassen.
Mehr ist es nicht. Und doch ist es so schwierig.
Wo fange ich an, wo höre ich auf? Das Leben ist reich an Geschichten. An guten, an schlechten, an traurigen und fröhlichen. Ich habe gelacht und ich habe geweint.
Das kommt auch jetzt noch durch. Und das ist gut, weil Emotionen den richtigen Ton finden.
So ist wieder eine Geschichte entstanden, ist wieder ein Stück Vergangenheit in die Gegenwart geholt worden, in der sie bestaunt, genossen und verstanden werden kann.
Draußen löst der neue Tag die Nacht ab. Die Augen brennen und ich bin leer und müde. Ich öffne das Fenster, lasse den frischen Atem des Morgen herein und bin zufrieden.
Und hat der Tag seine Schuldigkeit getan, übernimmt wieder die Nacht das Zepter. Dann beginnt alles aufs Neue. Die Kunst, aus 26 Buchstaben etwas zusammenzusetzen, etwas das fesselt, das begeistert, das nachdenklich macht und das letztlich bleibt.
Jürgen Engelmann























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